Die Diskussion begleitet mich schon mein gesamtes Einkaufsleben: Was genau ist ein Einkaufsnetzwerk, wo passt es und was bringt es?
Und: Ist ein Zentraleinkauf als Einkaufsorganisation nicht besser? Schauen wir uns die verschiedenen Möglichkeiten einmal näher an.
Mehrere Standorte mit derselben Produktlinie – Zentraleinkauf empfiehlt sich
Die passende Einkaufsorganisation hängt stark von der Organisation der einzelnen Standorte ab. Wenn die Werke mehr oder weniger dieselben Produkte fertigen und die Entwicklung sowie die Projektleitung zentralisiert sind, dann macht ein Zentraleinkauf Sinn: Bedarfe können gebündelt werden, es gibt eine gemeinsame Lieferantenbasis und eine klare Einkaufsstrategie.
Die Vorteile der zentralen Einkaufsorganisation sind offensichtlich: höhere Verhandlungsmacht, einheitliche Standards und weniger Doppelarbeit. Eine leichte Entscheidung.
Gleichzeitig büßt man mit einer zentralen Einkaufsorganisation auch ein Teil seiner Flexibilität ein. Welche Alternativen gibt es also noch?
Standorte mit eigenen Entwicklungsabteilungen – dezentraler Einkauf?
Wenn an den Standorten unterschiedliche Produkte entwickelt und gefertigt werden und/oder jedes Werk sogar ein Competence Center jeweils für eine „eigene“ Produktlinie ist, dann gibt es oft den klassischen, oft organisch gewachsenen, dezentralen Einkauf. Die Werke haben unterschiedliche Einkaufs-Materialgruppen, sogenannte „Categories“ und oft wenig Schnittstellen und damit Bündelungsmöglichkeiten in der Lieferantenbasis.
Das bedeutet aber gleichzeitig, dass mögliche Synergien bei gleichen Categories oder beim Einkauf von Nicht-Produktionsmaterial ungenutzt bleiben. Je „spezifischer“ und unterschiedlicher die Categories sind, desto schwieriger wird ein Zentraleinkauf.
Um trotzdem erfolgreich in einer dezentralen Einkaufsorganisation zu agieren ist es umso wichtiger, dass der technische Einkauf ein Teil des Entwicklungsprojektteams ist. Nur so bekommt ein Einkäufer Akzeptanz und kann die Lieferantenbasis von Anfang an aktiv in den Produktentstehungsprozess einbinden.
Die Perfekte Einkaufsorganisation ist also weder nur zentral oder nur dezentral. Wie so oft liegt die Lösung im Mittelweg.
Corporate Procurement Network – Das flexible Einkaufsnetzwerk
Ein Einkaufsnetzwerk ist die naheliegende Lösung. Die Einkäufer aller Standorte werden miteinander vernetzt – nicht nur durch gelegentliche Besuche und Meetings zum Kaffee trinken und zum Erfahrungsaustausch, sondern strategisch und organisatorisch. Dazu werden die Materialgruppen aller Werke analysiert, Lead Buyer für bestimmte Categories ernannt und die Lieferantenbasis wird nicht mehr pro Werk, sondern ganzheitlich für alle Standorte optimiert. So werden Synergien erschlossen, ohne dass die Flexibilität der dezentralen Werke verloren geht.
Excellence Center für zentrale Themen im Einkaufsnetzwerk
– hier wird die Einkaufsstrategie festgelegt
– Methoden und Tools werden ausgewählt und abgestimmt
– Lead Buyer werden ernannt
– Liefer- und Qualitätssicherungsvereinbarungen vereinheitlicht
– Einkaufsprojekte (z. B. Value Engineering) werden zentral unterstützt
– KPI´s werden abgestimmt
– ein einheitliches Reporting für die Standorte und damit für die Gruppe wird eingeführt
Dezentrale Lead Buyer als Standortexperten
Das Excellence Center soll so schlank und effizient wie möglich sein, zentrale Lead Buyer wären hierbei ein Widerspruch. Es bietet sich an, dass immer der Einkäufer Lead Buyer für eine Materialgruppe wird, der das größte Einkaufsvolumen in dieser Materialgruppe hat.
Zusätzlich können internationale Spezialisten eingebunden werden – etwa Mitarbeiter oder freie Experten in Asien oder Osteuropa, die direkt vor Ort Lieferanten betreuen, neue Lieferanten entwickeln und Qualität und Liefertreue sicherstellen.
Bei international tätigen Unternehmen gibt es oft lokale „Handelswaren“, die vom Vertrieb direkt eingekauft und „im Paket mit eigenen Produkten“ verkauft und ausgeliefert werden. Oft weiß der Einkauf davon wenig oder hat keinen Überblick über dieses Einkaufsvolumen und diese Lieferantenbasis. Das Thema „Sales buy local for local“ wird in diesem Fall auch in das Einkaufsnetzwerk eingebunden.
Weitere, wichtige Effekte einer Vernetzung sind, dass sich alle Einkäufer sich als Teil einer gemeinsamen, starken Organisation verstehen. Lokale Einkäufer sind keine „Einkäufer 2. Klasse“, wie es etwa oft in einer Zentralen Einkaufsorganisation der Fall ist, sondern sind gleichwertige Teammitglieder. Dies hat ebenfalls zur Folge, dass bei Engpässen Ressourcen flexibel zwischen Standorten ausgetauscht werden können. Das Team agiert als solches und jeder kann in seinem Bereich wertvolle Arbeit leisten, was ungemein zur Motivation des Einzelnen beiträgt.
Praxisbeispiele aus einer Transformation des Einkaufs
In einem internationalen Unternehmen war die Einkaufsorganisation dezentral organisiert. Jedes Werk hatte eigene Lieferanten, eigene Prozesse, eigene Rahmenverträge und eine eigene Berichterstattung. Synergien wurden nicht genutzt. Im Rahmen einer Transformation wurden Lead Buyer für Categories ernannt und ein Corporate Reporting eingeführt.
Heute gibt es Lead Buyer, eine zentrale Lieferantenliste, jährliche „Global Procurement Meetings“, einheitliche Vertragsstandards und ein gemeinsames Gruppen-Reporting.
Das Ergebnis sind deutliche Einsparungen, bessere Qualität und Liefertreue und eine gestärkte Verhandlungsposition gegenüber den Lieferanten. Diese Erfolge haben darüber hinaus dazu geführt, dass der Einkauf auch innerhalb des Unternehmens als wertvolle Unterstützungsfunktion und vollwertiger Partner bei Entscheidungsfindungen gesehen wird.
Die agile Zusammenarbeit im Netzwerk stellt außerdem sicher, dass Liefertermine auch bei widrigen Umständen gehalten werden können: wie z.B. bei COVID, Krankheitswellen oder überraschenden Kündigungen.
Digitale Dimension: Tools als Backbone des Netzwerks
Moderne Einkaufsorganisationen werden zunehmend digital unterstützt. Spend-Analysis-Tools, Lieferantenplattformen, elektronische Ausschreibungssysteme und C-Teile-Management-Dienstleister bilden die Grundlage für Transparenz und Effizienz. Gerade in internationalen Strukturen ist es entscheidend, dass Lieferanten vergleichbar sind und alle Standorte auf dieselbe Datenbasis zugreifen können.
Digitale Tools ersetzen aber nicht die Menschen – sie unterstützen vielmehr dabei, bessere Entscheidungen zu treffen und Ressourcen gezielt effizient einzusetzen.
Kulturelle Faktoren und Change Management
Ein Netzwerk lebt nicht allein von Strukturen und Prozessen, sondern vor allem von der Kultur. Ohne Offenheit, Vertrauen und bereichsübergreifende Zusammenarbeit bleibt ein Einkaufsnetzwerk eine leere Hülle.
Besonders wichtig ist, das klassische Abteilungsdenken aufzubrechen. In erfolgreichen Unternehmen werden Querversetzungen genutzt, um Verständnis zwischen Entwicklung, Einkauf, Qualitätssicherung, Produktion, Logistik und Vertrieb zu fördern. Gute Projektmanagement-Offices (PMO) helfen dabei, Transparenz zu schaffen und alle Stakeholder zielgerichtet einzubinden.
Wann passt ein Einkaufsnetzwerk?
Nicht jede Organisation kann schnell ein Einkaufsnetzwerk aufbauen. Folgende Fragen können helfen:
– Gibt es mehrere Standorte mit vergleichbaren Materialgruppen?
– Ist eine Balance aus lokaler Flexibilität und globaler Bündelung gefragt?
– Gibt es Bereitschaft für internationale und bereichsübergreifende Zusammenarbeit?
– Sind die notwendigen Tools und Reporting-Strukturen vorhanden bzw. möglich?
– Ist das Management bereit, Verantwortung und Entscheidungen zu teilen?
Fazit: Einkaufsnetzwerk als Maßanzug
Ein Einkaufsnetzwerk ist keine Einheitslösung, sondern muss maßgeschneidert auf die jeweilige Unternehmenssituation entworfen und betrieben werden. Die Mischung aus zentralen Standards, dezentraler Nähe zu den Projekten und digitaler Transparenz der Categories ist der Schlüssel.
Die besten Ergebnisse entstehen, wenn ein Einkaufsnetzwerk als Wertschöpfungsmotor und Drehscheibe im gesamten Unternehmen verstanden wird – mit Schnittstellen zu Entwicklung, Qualitätssicherung, Produktion, Logistik und Vertrieb an allen Standorten.
Wir diskutieren gern mit Euch, wie ein Einkaufsnetzwerk in Eurer Firma passend gestaltet werden kann.