Covid-19 und die Lieferketten

Covid-19 und die Lieferketten

Covid-19 und die Lieferketten – wie ein Virus die Beschaffung auf den Kopf gestellt hat.

Lange galten niedrige Beschaffungskosten, geringe Lagerbestände und Just-in-Time- Lieferungen als Leitmaxime im Beschaffungsbereich. Die Corona-Krise und ihre Wirkung auf die globalen Lieferketten hat die Schwächen dieser Strategie offengelegt. Engpassituationen und Fragen nach der Materialverfügbarkeit sind an der Tagesordnung. 

Im Zuge der Entwicklung der COVID-19-Pandemie haben Unternehmer erkannt, dass aufgrund fragiler Lieferketten und volatiler Absatzmärkte sich der Beschaffungsbereich von seiner traditionell rein kostenorientierten Strategie abwenden muss. Stattdessen sollte die Beschaffung zu einem integralen Bereich einer allumfassenden, langfristigen Gesamtunternehmensstrategie werden. Eine Kristallkugel ist überflüssig (wenn auch gelegentlich und im Allgemeinen wünschenswert 😊): die Zukunft der Beschaffung liegt im erfolgreichen Risikomanagement und der Widerstandsfähigkeit. In den letzten Monaten haben viele Unternehmen für sich erkannt, das dies der richtige Weg ist, auch wenn Ihnen noch der Kompass fehlt.

Ein Weckruf für den Wandel

Seit Jahrzehnten basiert ein Großteil der weltweiten Produktion auf globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten. Am Beispiel von Elektronikprodukten werden einige Rohstoffe in Afrika gefördert, Platinen werden in China gefertigt, in Osteuropa veredelt und mit Produkten aus Deutschland dann in China zusammengebaut, bevor das Endprodukt wieder in einem deutschen Lager und am Ende beim internationalen Kunden landet. Die Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen hat sich fast ausschließlich auf Grundlage niedriger Preise abgespielt. 

Die Coronakrise mit ihren sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen war der Katalysator um die Schwächen dieses vornehmlich kostenorientierten Modells ins Rampenlicht zu rücken. So hatten die Unternehmen in den ersten Monaten der Pandemie mit der Sicherung der Produktion durch fehlende Lieferungen und Leistungen ihrer Lieferanten zu kämpfen. Als Beratungsunternehmen werden wir häufig erst hinzugerufen, wenn es schon brennt (Lieber beraten wir zum Thema präventives Risikomanagement).

So geschehen bei einem Chemieunternehmen, das Masken für den täglichen Produktionsbedarf benötigte. Von heute auf Morgen sah sich das Unternehmen dem Risiko ausgesetzt, die Produktion mangels Masken einstellen zu müssen. Obwohl ein Liefervertrag bestand, waren die Masken nicht da, als sie benötigt wurden. Die erste Reaktion bestand darin, sich mit dem Lieferanten in Verbindung zu setzen, um die Ursache des Problems zu untersuchen und eine schnelle Lösung zu finden. Der Lieferant teilte in aller Transparenz mit, dass er, aufgrund der häufigen Forderungen nach Preisreduktionen mehr auf kommerzielle Themen als auf Lieferfähigkeit gesetzt hatte und nun trotz aller Bemühungen nicht in der Lage war, rechtzeitig zu liefern.

Der Chemiekonzern hätte sich auf die vereinbarten Vertragsstrafen berufen können, aber unglücklicherweise war die vereinbarte Höhe der Vertragsstrafen so gering, dass sie die Auswirkungen des Lieferengpasses nicht im Geringsten abgedeckt hätten.

Solche Erfahrungen sind wie eine kalte Dusche (auf die wir uns in Zukunft wohl häufiger einstellen müssen) – auf einmal ist man wach: Die Konzentration auf das Senken der Preise hatte im Mittelpunkt der Beschaffungsstrategie gestanden und das Unternehmen zahlte ironischerweise dafür den Preis.

Aber wie konnte das passieren?

Der CPO hatte sich in der Vergangenheit mit dem Thema Risikomanagement auseinandergesetzt. Auch ein Business Case wurde definiert für eine komplett aufgestellte Einkaufsabteilung, die mit Schlüsselbereichen wie Qualität und Fertigung erfolgreich zusammenarbeitet. Die Umsetzung scheiterte aber letztlich an den verfügbaren Ressourcen mit der Begründung es sei ja seit Jahren nichts passiert und warum man für etwas, was nicht passiert Geld ausgeben solle. Also wurde nach dem Motto weitergearbeitet „Es wird schon schief gehen“. 

Infolgedessen konzentrierte der CPO sich weiterhin auf die Beschaffung zum niedrigsten, auf dem Markt verfügbaren Preis, während andere Erfordernisse der Risikominderung herunterpriorisiert und somit nie umgesetzt wurden.

Und dann ging es schief….

Resiliente Lieferketten versus Kosten?

Eine werteorientierte Beschaffungsorganisation ist keine neue Idee. McKinsey spricht in seinem vor einigen Jahren erschienenen Papier Shifting the dial in procurement dieses Thema an. Hier werden die Risiken, die aus der Beschränkung der Beschaffung auf lediglich transaktionale Themen, die nur einen kleinen Einflussbereich auf das Gesamtunternehmen haben, gegenüber den Vorteilen eines strategischeren und ethischeren Managements der Lieferketten thematisiert. Trotz all dieser Studien, die die Bedeutung einer wirklich strategischen Beschaffung belegen, war eine Pandemie nötig, damit CEOs und Märkte anfingen, der Rolle der Beschaffung und ihrer Leistungsfähigkeit Aufmerksamkeit zu schenken.

Es herrscht die allgemeine Auffassung, dass Familienunternehmen mehr in ihre langfristige Performance investieren, während börsennotierte Unternehmen zielstrebig auf Quartalsfinanzergebnisse ausgerichtet sind. Familienunternehmen wird zugesprochen, dass sie widerstandsfähiger oder resilienter gegenüber möglichen negativen äußeren Einflüssen sind und / oder dafür strukturell und proaktiv besser vorbereitet sind.  

In einer am Anfang der Corona Krise erschienenen Publikation, der Harvard Business Review, wurde vorausgesagt, dass das erfolgreiche Unternehmen der Zukunft dasjenige ist, welches wahre Widerstandsfähigkeit zeigt. Die Autoren gehen noch einen Schritt weiter, indem sie bekräftigen, dass der Schlüssel zum Erfolg darin liegt, dem CFO Macht zu entziehen und sie in die Beschaffung zu investieren. Die Beschaffungsfunktion, die Unternehmen jetzt benötigen, müsse Wertkonstellationen managen, in denen alle Interessengruppen miteinander verbunden seien und Nutzen aus der Beziehung zögen. Das Fazit ist, dass Unternehmen, welche in Zukunft weniger in finanzielle Effizienz und mehr in Widerstandskraft investieren, in der Lage sein werden, dynamischer zu reagieren und somit eine höhere und konstantere Leistung zu erbringen.

Das Erfolgsrezept: Die Beschaffung übernimmt die Rolle der Abteilung für Risikominderung

Der Beschaffung ist in den letzten Jahren ein steigender Stellenwert bei der Generierung von Wettbewerbsvorteilen zugewiesen worden. Dennoch fokussiert sie sich immer noch überwiegend auf Kosten- und Qualitätsgesichtspunkte und betrachtet Risiken lediglich unter dem Gesichtspunkt der Versorgungs- bzw. Lieferrisiken. Die Corona-Pandemie zeigte, dass dieser Ansatz zu kurz greift, da die Risiken in der Beschaffung sehr weitreichend und vielfältig sein können. 

Viele der CPOs, mit denen wir uns in letzter Zeit getroffen haben, konzentrieren sich zurzeit auf die Lösung der aktuellen Probleme, die während der Coronakrise aufgetaucht sind und sich mit  Ausbruch des Krieges in der Ukraine und den damit verbundenen Maßnahmen in Deutschland nochmals verschlimmert haben. Obwohl diese Sichtweise jetzt notwendig ist, bleibt sie kurzsichtig. Gerade die Erfahrungen aus der Krise können dabei helfen, jetzt die Basis für eine zukunftsfähige Unternehmensentwicklung zu legen. Der Schlüssel zur erfolgreichen Weiterentwicklung hin zu einem kontinuierlichen Risikomanagement beginnt damit, mit Unterstützung des gesamten C-Levels eine umfassende Risikobewertung für das Unternehmen durchzuführen und die Risikolandschaft neu abzustecken. So sollten alle Abteilungen potentielle Risiken identifizieren mit dem Ziel die erkannten Risiken minimieren zu können. Mit einer detaillierten Roadmap weist dann der CPO innerhalb seiner Abteilung einen Verantwortlichen für das Risikomanagement zu.

An dieser Stelle sollten wir uns über Kompetenzen unterhalten: Die ideale Beschaffungsabteilung setzt sich aus einer Reihe von Fachleuten zusammen, die in der Lage sind, das End-to-End ihrer Supply-Chain vollständig zu verstehen. Darüber hinaus sollten sie auch die Kompetenzen haben, die Rolle von Ökosystemexperten zu übernehme, die über die (sichtbaren) Kosten hinausblicken, alle Interessen der Akteure verstehen und übergreifend Mehrwert schaffen können. (Nein hier sind keine Biologen mit gemeint, vielmehr geht es um das Ökosystem Unternehmen, wie es z.B. PWC in diesem Artikel dargestellt hat.) Verhandlungs- und Lieferantenmanagementfähigkeiten stehen weiterhin im Mittelpunkt der Kompetenzliste insbesondere für den Einkauf. Darüber hinaus brauchen wir aber auch mehr abgerundete Profile, die strategisch denken, die entsprechenden Entscheidungen treffen und realitätsnahe Einschätzungen abgeben, wie diese Entscheidungen sich kurz- und langfristig auf alle Bereiche des Unternehmens auswirken.

Von der Krise zur Chance – Wie Corona den Beschaffungsbereich verändert

Die Realität sieht so aus, dass wir in einer VUCA-World leben (volatile, uncertain, complex and ambiguous), und mit ihr wird sich unsere Landschaft weiterhin in beschleunigtem Tempo verändern. Gestern kämpften wir mit einem unsichtbaren Feind: einem Virus, heute befinden wir uns in einem Wirtschaftskrieg mit Russland, was Morgen kommt wissen wir noch nicht. Durch diese ungewisse Situation wird vielen Unternehmen jetzt klar, dass die Kosten zwar wichtig sind, aber nicht allein im Mittelpunkt stehen. Der Einkauf ist jetzt gefordert, sich von der transaktionalen und operativen Abteilung, die Preise neu verhandelt und Einkaufsaufträge verwaltet, zu einem Manager für Risiken und Ökosysteme zu entwickeln, der durch die Minderung von Risiken für das Unternehmen Mehrwert schafft.

In der heutigen Zeit ist es erforderlich, die Rolle der Beschaffung zu einem umfassenden Risikomanagementbereich auszubauen, der es versteht, potenzielle negative Auswirkungen auf das Unternehmens zu vermindern. Die Beschaffung wird dann zur treibenden Kraft für die Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit des Ökosystems „Unternehmen“ welches sein Überleben nicht erst dann sichert, wenn die nächste Krise zuschlägt. Welcher Art sie sein mag, wissen wir heute nicht genau, aber dass sie kommt, ist sicher.

Oft fehlen dann auch Teile – lies daher gerne den folgenden Artikel:  Management von Engpässen.

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Als diplomierter Maschinenbauer mit über 15 Jahren Erfahrung im Beschaffungsmanagement berät Daniel vom Einkäufer über Ingenieure bis hin zum CEO. Hierbei kann er auf das Wissen aus verschiedenen Industriezweigen von der Chemie- und Pharmabranche über die Energie- bis hin zu weiteren diversen technischen Branchen zugreifen. Neben dem strategischen Einkauf ist er spezialisiert auf Prozessverbesserungen, das Lieferanten-, Claim- und Vertragsmanagement, sowie Kostenoptimierungen unter anderem durch fortgeschrittene Verhandlungen.

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