Expeditor, das hört sich doch wirklich an wie der neue Superheld von Marvel. Und tatsächlich finde ich, ist die Rolle prädestiniert, um große Taten zu vollbringen.
Denn Expediting ist ein wichtiger Prozess im Einkauf beziehungsweise Supply Chain Management und ist gelebtes Risikomanagement. Es bedeutet im Grunde die meist terminliche Absicherung von Lieferungen und Projekten. Expediting zielt darauf ab, den reibungslosen Ablauf von Geschäftsprozessen sicherzustellen und Verzögerungen zu vermeiden. So fallen mögliche Probleme sehr früh auf und es können Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Der Expediting-Prozess umfasst verschiedene Schritte, um sicherzustellen, dass alle Materialien, Produkte oder Dienstleistungen rechtzeitig geliefert oder abgeschlossen werden, um den Projektzeitplan einzuhalten.
In der Energiebranche durfte ich beispielsweise einige Erfahrung im Grossanlagenbau sammeln. Hier waren Verträge oft viele Millionen € schwer und deren Abwicklung langfristig. Projektverträge waren an der Tagesordnung, Serienfertigung gab es maximal im Sinne von Kleinstserien. Der Kauf von Rohmaterialien und Start der Fertigung war eigentlich erst dann möglich, wenn die Entwicklungsdokumente relativ weit fortgeschritten waren. Zudem flossen viele Informationen bzw. Zusatzanforderungen in den Vertrag ein, die wiederum abhängig von einer Vielzahl von Stakeholdern waren, wie z.B. Zertifizierungsunternehmen (TÜV/Dekra), Betreibern, Lieferanten und Sublieferanten. Dies wiederum nahm viel Zeit in Anspruch, was den Zeitplan nach hinten schob. So wurde in der Realität also oft nach Entwicklungsdokumenten beschafft, die “so gut wie fertig” waren oder “große Änderungen nicht mehr erwartet wurden”.
Und dann kam der verantwortliche Ingenieur um die Ecke, dass jetzt doch noch „die ein oder andere Kleinigkeit geändert werden müsse“. Die Dokumentation war also nie abgeschlossen, da Design und Engineering bis zum Ende des Projekts immer wieder angepasst wurde.
Das führte dazu, dass der Einkäufer den unterschriebenen, fixen Vertrag in der Schublade hatte, während der Ingenieur den Lieferanten aufforderte, weiter an den Änderungen zu arbeiten. Es besteht also ein Spannungsfeld zwischen Terminen, Kosten und Qualität. Der Lieferant macht dann das, was er für sinnvoll hält. Das führt dann dazu, dass der Vertrag und die Realität manchmal voneinander abweichen.
Außerdem wird der kritische Pfad hierbei immer wieder neu definiert, was dann letztlich zu einer Herausforderung in der Vertragsabwicklung wird.
Eine Möglichkeit diesem entgegenzuwirken wäre es Gates zu etablieren, welche klar definieren: Wenn jeweils definierte Dokumente abgeschlossen sind, dann kann der Einkauf des Lieferanten Rohmaterialen beschaffen, der Start der Fertigung kann erfolgen, Factory Acceptance Test werden durchgeführt und dann wird auf die Baustelle geliefert.
Im realen Projekt funktioniert dies aber ohne klar definiertes Änderungsmanagement auch eher schlecht als recht und letztlich macht jeder dann doch wieder, was er will.
Besser mit Expediting
Ohne Expediting kam es oft zu Fehlern, die dann später korrigiert werden mussten. Es gab eine Verzögerung in der Realisierung des Projekts, was sich auf die Kosten auswirkte. Mit Expediting hatten wir jedoch deutlich mehr Zeit, um Probleme zu lösen. Die Beeinflussbarkeit im Projekt war um einiges höher. Je früher etwas auffiel, desto besser und günstiger konnte es gelöst werden.
Beispielsweise hatten bei der Bestellung einer großen Pumpe für ein Kraftwerk alle Beteiligten immer wieder am vom Lieferanten zugesagten Termin festgehalten, ohne die aufkommenden Herausforderungen adäquat anzugehen. Und als dann der große Tag da war…fehlte leider die Pumpe. Wäre man frühzeitig im Sinne des Expediting diesen Herausforderungen nachgegangen, hätte man Probleme frühzeitig erkannt. Der geplante Liefertermin wäre dann deutlich näher an den tatsächlichen gewesen. Bei nachfolgenden, vergleichbaren Projekten, dann aber mit Expediting, wurden die Produkte dann auch mit weniger Verzögerung ausgeliefert. Man hatte gelernt.
Der Expediter schaut beim Lieferanten regelmäßig nach dem Rechten und überprüft den aktuellen Stand. Dabei dokumentiert er den Projektfortschritt und erstellt Projektberichte. Der Expediter hat immer den Vertrag und den Terminplan vorliegen und den kritischen Pfad im Auge, um etwaige Risiken zu minimieren. Auch die Verhandlung von Nachträgen ist Teil des Expediting.
Der Expediter fungiert als Schnittstelle, als „Klebstoff“ zwischen dem Unternehmen und dem Lieferanten, um sicherzustellen, dass der Vertrag sinnvoll umgesetzt wird. Probleme werden so frühzeitig erkannt und können besser behandelt werden.
Der Expediter sollte in der Supply Chain bzw. in der Beschaffung angesiedelt sein, entweder als Stabsstelle oder innerhalb des Projekteinkaufes. Je komplexer das Produkt, je länger die Entwicklungszeit mit dem Lieferanten und je wichtiger für das Projekt, desto eher sollte mit Expediting gearbeitet werden.
Wo kann man mit Expediting sparen?
Markus Talay hat in seiner Dissertation „Expediting als Ansatz zur Bewältigung der Lieferantenrisiken im deutschen Großanlagenbau“ die Einflüsse des Expediting auf die Projektkosten sehr schön dargestellt. Dieses möchten wir Euch nicht vorenthalten:
Wir sehen also, dass speziell im Bereich der TCO, Total-Cost-of-Ownership, das Expediting Wirkung zeigt.
Wenn Euch die gesamte Dissertation interessiert, könnt ihr diese hier nachlesen.
In Kombination mit agilen Methoden (z.B agile Procurement) lassen sich Grossprojekte so wesentlich besser steuern und zum Ende führen.
Was haltet Ihr vom Expediting Ansatz? Wäre das für Euren Bereich interessant und wenn ja, wo seht ihr Einsatzmöglichkeiten?