In der letzten Zeit passiert es mir immer häufiger im Privaten, dass Dienstleister vom Handwerker bis zum Fensterputzer absagen mit der Begründung “Wir haben keine Leute!”. Wo man hinschaut (auf LKWs, an Litfaßsäulen, bei Bäckereien) werden Mitarbeiter gesucht – oft mit mehr oder weniger originellen Sprüchen („Tesa, Pattex, Pritt – bist du unser Alleskleber? Wir suchen dich als Plakatkleber.“) – Es herrscht Fachkräftemangel!
So bieten viele Baumärkte sogar schon Kurse für „Women@Work“ an, in denen Frauen z.B. Fliesen legen lernen können. So sehr ich dies aus emanzipatorischer Sicht begrüße, umso mehr hege ich die Befürchtung, dass wir solche privaten Ausbildungen in Zukunft immer mehr benötigen werden.
Ähnliches Phänomen sehen wir derzeit im Bereich des Interim Managements: Es gibt wesentlich mehr Anfragen, andererseits sind die vorübergehend ausgefüllten Stellen schwieriger zu besetzen. Wurden vor 15 Jahren noch große Assessment Center veranstaltet um sich den besten Bewerber aus einem Stapel an Bewerbungen aussuchen sind solche Verfahren mittlerweile so gut wie verschwunden. Stattdessen tröpfeln Bewerbungen nur noch vereinzelt auf eine Stellenanzeige herein und davon „sich den Besten auszusuchen“ ist lange nicht mehr die Rede.
Der seit Jahren gepredigte Fachkräftemangel ist nun in der Wirtschaft angekommen und interessanterweise für ganz viele ganz überraschend (Vor 5 Jahren hieß es noch „Wie Fachkräftemangel? Wir haben doch genug Leute“).
Die Demografie und der Fachkräftemangel
Warum ist das aber eigentlich so? Schauen wir uns mal unsere Demografie an:
Kamen noch in 2014 ca. 2 Erwerbstätige auf einen Rentner, so werden es in 2030 (also in 5 Jahren) nur noch 1,3 sein, in 2050 wird es nur noch 1:1,1 stehen und es wird nicht besser, die Geburtenrate geht, im Gegenteil, immer mehr zurück.
Das heißt also realistisch gesehen, müssen wir in nicht allzu ferner Zukunft nicht nur die gleiche Arbeit mit weniger Leuten schaffen, sondern auch noch mit dieser Arbeit mehr Menschen (nämlich die Rentner) mitversorgen.
Zwischen 2012 und 2040 wird die Bevölkerung Deutschlands um etwa 3,9 Millionen Menschen sinken, während die für den Arbeitsmarkt entscheidende Altersgruppe (20-65 Jahre) um 8,9 Millionen Personen abnehmen wird. Dies führt zu einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials von 50,2 Millionen im Jahr 2012 auf 41,3 Millionen im Jahr 2040 und einer Reduzierung des Anteils der Bevölkerung im Alter von 20 bis 65 Jahren von 61,2 Prozent auf 52,8 Prozent im Jahr 2040.
Das waren jetzt viele Zahlen auf einmal – daher zwei Grafiken, die die ganze Misere aufzeigen.
In der folgenden Grafik aus 2015 sehen wir, dass voraussichtlich in den nächsten 20 Jahren an die 4 Millionen Fachkräfte fehlen, wenn nichts weiter unternommen wird.
Im Detail zu den Branchen sehen wir dann in der folgenden Grafik, wie sich dieser Mangel in % verteilen könnte.
Die Prognos Studie von 2015 nennt verschiedene Möglichkeiten mit dem Fachkräftemangel umzugehen von Verbesserung der Beschäftigungschance, Erhöhung der Erwerbsbeteiligung, Verlängerung der Arbeitszeiten (was letztlich ein späteres Renteneintrittsalter bedeutet – wie realistisch das auch für den Fliesenleger und Dachdecker sein mag…). Im weiteren werden noch eine breite Bildungsoffensive und nicht zuletzt die gezielte Gestaltung von Zuwanderung genannt. Sind die erstgenannten Punkte begrenzt in ihrer Ausgestaltung, ließe sich mit letzterem tatsächlich der Fachkräftemangel beheben.
Nun kann ich aber aus persönlicher Erfahrung sprechen (Mein Mann ist Ägypter mit abgeschlossenen Politikstudium und seit 11 Jahren in Deutschland), dass es für Fachkräfte aus dem Ausland wahnsinnig schwer ist Fuß zu fassen, wenn Sie nicht persönliche Unterstützung von einem Einheimischen bekommen, wie das bei uns der Fall war. Sprachkurse werden erst nach vielen Monaten von staatlicher Seite angeboten, müssen also privat organisiert werden. Zeugnisse anzuerkennen ist eine bürokratische Katastrophe, nicht von den Ein-Euro-Jobs zu reden, die qualifizierte, intelligente Menschen vom Jobcenter angeboten bekommen. In unserem Falle hat mein Mann sich durchgebissen, sich dann selbstständig um eine Zusatzausbildung gekümmert und ist nun glücklich in Lohn und Brot. Weniger engagierte Menschen würden aber wahrscheinlich immer noch die Früchte unseres Sozialstaates genießen oder direkt in die USA, Kanada oder UK immigrieren, anstatt nach Deutschland.
Nun gut, ab von politischen Themen, was können wir mittelfristig als Unternehmen tun?
1. Attraktivität des Arbeitgebers
So banal das klingt, so schwierig scheint es für viele Unternehmen ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. In einigen Unternehmen werden händeringend Leute gesucht, wir bei neusta beispielsweise können uns nicht beklagen, sondern haben einigen Zulauf. Woran könnte das liegen?
Neusta wurde kürzlich als eines der familienfreundlichsten Unternehmen in Bremen ausgezeichnet. Unseren zuletzt rund 30 neuen Mitarbeitern bieten wir eine einladende Arbeitsumgebung. Wir legen viel Wert auf Flexibilität; dies drückt sich beispielsweise in unseren flexiblen Arbeitszeiten aus (wenn ich über Tag andere Prioritäten setze, wie z.B. mit meinem Sohn zu spielen, dann kann ich das ohne Probleme Abends nachholen). Wer das möchte, kann seinen Hund mit ins Büro bringen.
In anderen Unternehmen wird im Moment darüber nachgedacht, wie Schichtarbeitsmodelle attraktiver gestaltet werden können, um Fluktuation zu vermeiden und neue Arbeitskräfte anzuziehen.
Schaut Euch doch spezifisch die folgenden Themen bei Euch in der Abteilung an – seid ihr gut aufgestellt?
Konkrete Nachfolgeplanung: Gerade jetzt, da viele Baby-Boomer in Rente gehen, ist es wichtig, frühzeitig geeignete Fachkräfte für freiwerdende Positionen zu identifizieren und einzuplanen. So können wir verhindern, dass wichtige Positionen unbesetzt bleiben.
Talentmanagement: Unternehmen setzen verstärkt auf Talentmanagement, um Talente zu halten, zu gewinnen und weiterzuentwickeln. Attraktive Angebote sollen neue Mitarbeiter ansprechen und bestehende binden.
Weiterbildung: Die bestehende Belegschaft erfüllt nicht die kommenden Anforderungen? Mithilfe von Weiterbildungsmaßnahmen können Mitarbeiter die Anforderungsprofile erfüllen und ihre Fachkompetenzen erweitern. Gleichzeitig können dadurch offene Stellen intern besetzt werden. Die Einkaufsabteilung wird noch attraktiver, wenn es eine Vielfalt von Weiterbildungsmöglichkeiten gibt, von Präsenztrainings und Workshops bis hin zu E-Learning und Webinaren.
Mehr Attraktivität: Das geht zum Beispiel durch die Einführung agiler Methoden (gerne unterstützen wir Euch dabei 😊), die Förderung einer Work-Life-Balance und eine interessante Darstellung der Einkaufsabteilung in Stellenausschreibungen und Bewerbungsgesprächen. Denn sind wir uns nicht einig: Einkauf und Beschaffung sind doch eigentlich die coolsten Tätigkeiten im Unternehmen 😀.
Korrektes Recruiting: Vor Kurzem haben wir wieder bei einem Kunden erlebt, dass die Stellenanzeige nur die Hälfte des Aufgabenbereichs umfasste – entsprechend haben sich nicht die richtigen Leute beworben. Die Qualität der Ausschreibungsunterlagen und die Streuung in die richtigen Kanäle sind essenziell, um die passenden Profile zu finden. Und wenn es um wichtige Schlüsselpositionen geht, kann auch ein Headhunter helfen die perfekte Fachkraft zu finden.
Konkret auf den Einkauf bezogen wird sich dieser wandeln (müssen). In unserem Artikel Einkauf 4.0 haben wir schon beschrieben, dass Einkäufer der Zukunft weniger Bestellabwickler, als mehr Integrationsmanager, Prozessexperten und Schnittstellenmanager sein werden. Stellt heute schon eure Teams mit guten Leuten auf und pflegt sie gut. In diesem Zusammenhang müssen wir uns dann auch mit der Digitalisierung der Einkaufsprozesse beschäftigen.
2. Digitalisierung
Je weniger Personal wir im Einkauf haben, desto effizienter müssen wir werden. Das heißt, wir müssen Prozesse auf Ihre wirkliche Wertschöpfung hin überprüfen und entsprechend optimieren. Nicht-wertschöpfende Prozesse müssen so weit wie möglich automatisiert werden, um Kapazitäten für die wichtigen, strategischen Themen zu schaffen.
Drei Lösungsansätze, die wir im Bereich der Digitalisierung sehen und auch schon erfolgreich bei Kunden mit der neusta portal services angewendet haben sind zum Beispiel:
- Nutzung von Katalogsystemen – Mit der Möglichkeit der selbstständigen Bestellung durch die Fachanforderer aus vordefinierten Katalogen können gerade Kleinbestellungen wesentlich reduziert werden, was den Workload im Einkauf speziell im indirekten Einkaufsbereich minimiert.
- Automatisierung von Bestellabwicklungen – Operative Aufgaben im Einkauf umfassen häufig die reine Kontrolle von Bestellanforderungen und Umsetzung in Bestellungen. Mit gut überlegten Regeln, Voreinstellungen und je nachdem auch der Nutzung von künstlicher Intelligenz können hier viele operative Aufgaben reduziert und Platz für strategische Überlegungen geschaffen werden.
- Geschäftsprozessoptimierung – Vor jedem erfolgreichen Digitalisierungsprojekt steht das Verständnis und die Aufnahme der bestehenden Prozesse und die Skizzierung der neuen, möglichst optimierten Prozesse (idealerweise formuliert als Use Cases – siehe hierzu auch unser Artikel zum Thema agiles Projektmanagement. Speziell bei gewachsenen Strukturen haben sich häufig Prozesse eingespielt, die auf Nachfrage nach dem Sinn und Zweck Antworten wie „Haben wir halt immer schon so gemacht!“ ergeben. Hier sehen wir immer wieder große Potentiale, welches es innerhalb von Digitalisierungsprojekten zu heben gilt. Und nicht zuletzt laufen Prozesse gerade in kleinen und mittelständischen Firmen noch oft über unvernetzte Systeme, Word/Excel und sogar Papier
„Stift, geh‘ mal den Auftragsblock holen“.
3. Lieferanten
Welche Lieferanten werden eine Zukunft haben? Wenn Unternehmen sich Ihre Lieferanten und Lieferketten im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) sowieso anschauen, wäre es ratsam in diesem Zuge auch folgende Dinge in Bezug auf den Fachkräftemangel und damit verbundene mögliche Lieferausfälle abzuprüfen:
- Wie ist die Personalstruktur des Lieferanten? (Sehe ich nur „bald-Renter“ wenn ich durch die Fertigung gehe, oder ist das Team gut gemischt?)
- Was macht der Lieferant, um sein Personal zu halten?
- Habe ich häufig neue Ansprechpartner? Wie ist die Fluktuation im Unternehmen?
- Wie wird neues Personal angeworben?
- Wie weit ist die Digitalisierung fortgeschritten im Unternehmen? Welche Projekte sind in der Pipeline?
Rutscht Deutschland weiter in eine Rezession, erübrigt sich aber dann vielleicht auch das Thema Fachkräftemangel mittelfristig.
Bleiben wir neugierig auf die Zukunft und versuchen uns bestmöglich darauf vorzubereiten!
Was ist eure Meinung zu dem Thema? Lasst uns diskutieren.