"Übernächste Woche fehlt uns Teil XY und dann steht die Produktion!"
Wer im Materialmanagement eines Unternehmens arbeitet, dem dürfte dieser Satz im Moment leider nur zu bekannt vorkommen. Die durch die Maßnahmen der Corona-Pandemie verursachten, massiven Störungen der Lieferketten spüren wir noch immer. Dazu kommt, dass durch den derzeit herrschenden Gasmangel in Kombination mit hohen Preisen die sonst so gut geölten Rädchen der deutschen Wirtschaft nicht mehr so gut ineinandergreifen. Dadurch kommt es immer wieder zu Engpässen in der Materialverfügbarkeit, die gemanaged werden müssen.
So können selbst C-Teile, wie O-Ringe zu Produktionsstillständen führen und es kommen Abhängigkeiten zu Tage, die vorher gar nicht transparent waren. Beispielsweise der Zusammenhang zwischen der gasintensiven Düngemittelherstellung und dem Dieselzusatzstoff AdBlue, den heutzutage die meisten LKWs benötigen. Sollte es in diesem Bereich weitere Engpässe geben, ist mit nochmals einer Verschärfung der Situation zu rechnen.
Engpässe können aber zum Beispiel auch entstehen, wenn Lieferanten Ihre Produktionsprozesse ändern und die damit einhergehenden Produktänderungen nun nicht mehr in das eigene Sortiment passen wollen. In beiden Fällen ist oft guter Rat teuer und gleichzeitig schnelles Handeln gefragt.
So bekam ich vor Kurzem einen Anruf des leicht panischen Einkaufsleiters „Herr Panzer, wir brauchen Ihre Hilfe – sonst steht die Produktion. Wir finden keinen Alternativlieferanten für unsere GFK Platten.“
Das mittelständische Unternehmen kaufte GFK Platten (Glasfaserverstärkter Kunststoff) von einem Lieferanten zu. Mit dem Austausch einer Maschine beim Lieferanten wurden die Parameter geändert und plötzlich passte der Zuschnitt nicht mehr so, wie er damals vom Unternehmen spezifiziert wurde.
Beziehungsweise, um ehrlich zu sein, wie das Teil vom Lieferanten spezifiziert wurde – auf die Frage nämlich, ob wir uns die Originalspezifikation einmal anschauen dürften, war die Aussage, dass sich auf den Lieferanten verlassen wurde und die Spezifikation von ihm stamme.
Aufgrund von Zeitmangel und fehlenden Kapazitäten sehen wir dies leider häufig. Es wird eine grobe Vorgabe an den möglichen Lieferanten gegeben, welche vielleicht persönlich noch in einem Meeting nur mit diesem einen Bieter besprochen wird. Alles Weitere inklusive der Zeichnung – an dem natürlich auch der Lieferant dann die Rechte hat, wenn dies nicht schriftlich anders vereinbart wurde – wird auf den Lieferanten übertragen.
Nun gut, das Kind war in den Brunnen gefallen und wir machten uns an die Arbeit es wieder herauszuholen. Im Ersten Schritt hinterfragten wir die Spezifikation:
- Was ist Ihnen an der Spezifikation des Lieferanten wichtig? Was kann vielleicht weg? (Ja, dünner ginge auch und den teuren Leim brauchen wir eigentlich auch nicht)
- Was benötigen Sie noch zusätzlich? (Etwas größer wäre schön, siehe unten)
Mit diesen Fragen konnten wir den Bedarf passend spezifizieren. So war es auch möglich die Spezifikation noch insoweit zu schärfen, als dass sich der bisherige Verschnitt bei der späteren Verarbeitung mit einer Deckfolie nochmals reduzieren ließ und auch hierdurch nochmal im nachgängigen Prozess durch Value engineering Einsparungen erzielt werden konnten.
Die neue Spezifikation wurde von uns nochmals mit dem Markt, also den von uns identifizierten Bietern abgeglichen. Im nächsten Schritt haben wir eine europaweite Ausschreibung durchgeführt auf Basis derer wir Samples anfragen konnten. Nach den entsprechenden Versuchen zu Schnittfestigkeit, Quellverhalten etc. konnte so innerhalb von 21 Wochen ein neuer Lieferant gefunden werden. Die Einsparungen zu vorher lagen bei 11%
Unser Vorgehen bei Engpässen richtet sich nach der Methode des Value Engineering.
Der Definition nach ist Value Engineering eine strukturierte Denkmethode für die Entwicklung von Innovationen, Aufgaben wie Projekten, Produkten und Services. Für die Weiterentwicklung und Verbesserung von Produkten wird die Methode Value Analysis oder Wertanalyse genannt.
Nach der VDI 2800, Blatt 1 gliedert sich die Wertanalyse in die folgenden Schritte
0 – Projekt vorbereiten, Machbarkeit untersuchen
1 – Projekt definieren
2 – Projekt vorbereiten, Projektarbeit freigeben
3 – Umfassende Daten über das Produkt sammeln
4 – Funktionen, Kosten, Detailziele festlegen
5 – Lösungsideen sammeln und entwickeln
6 – Lösungsideen bewerten
7 – Ganzheitliche Vorschläge entwickeln, Lösung auswählen
8 – Lösungen präsentieren, Entscheidung herbeiführen
9 – Lösungen realisieren, Ergebnis dokumentieren
Neben diesem standardisierten Vorgehen haben wir ein paar Praxistipps für Euch:
- Hartnäckigkeit zahlt sich aus: „Das geht nicht!“ „Das haben wir immer schon so gemacht!“ – Im Value Engineering hakt es oft an der Bereitschaft zur Veränderung bei den Teilnehmern bzw. Befragten. Auch die Aussage „Wir haben schon alles analysiert aber keine Verbesserungsmöglichkeiten gefunden.“ sollte nicht abschrecken. Oft werden solche Aussagen auch als Selbstschutz getätigt, weil den bisherigen Verantwortlichen ja ansonsten Untätigkeit vorgeworfen werden könnte. Hier ist eine entsprechende Fehlerkultur zu etablieren, das, selbst wenn Versäumnisse festgestellt werden, diese nicht als solche tituliert werden, sondern der Blick nach vorne gewählt wird.
- Die Basis zählt – Schaut Euch die Produkte in live an. Nehmt sie auseinander, gleicht sie mit Zeichnungen ab. So lassen sich Schwachstellen, Verbesserungspotentiale und Überdimensionierungen gut erkennen.
- Fragt die Bieter nach Vorschlägen um Ihr hauseigenes Engineering herausfordern. So bringen Sie frischen Wind in Ihre Produkte und generieren möglicherweise nebenbei noch zusätzliche Einsparungen.
Wie sieht das bei Euch aus?
Nutzt Euer Einkauf die Wertanalyse? Wie geht ihr mit Engpässen bei Materialien um?
Lest jetzt auch wie sich die Welt um uns verändert hat: Covid-19 und die Lieferketten
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